“The Shadow of One’s Own Head” oder Das Spektakel der Kreativität

Authors

  • Susanne Valerie Granzer University of Music and Performing Arts Vienna

Keywords:

Schauspieler, Theater, Korporale Performanz, Schöpferischer Prozess, Künstlerische Forschung, Philosophie, Theaterwissenschaft, Kunst, Performance Philosophy

Abstract

Deutsch:

Während des Spielens erfährt die Schauspieler_in ein komplexes Regime an Zeichen in Körper, Geist, Gemüt und Geschlecht. Sie sind verstörend und verheißungsvoll. Einerseits wird im Akt der Kreativität eine Wunde offenbar, die sich im Menschen inkarniert hat. Sie gibt ihm zu verstehen, dass er nicht alleiniger Täter seines Tuns ist. Andererseits wird gerade dadurch das Spiel auf der Bühne zum Ereignis. Im Akt dieses Ereignisses zeigt sich eine Form des Werdens (be-coming), in der man handelt (act) und gleichzeitig nicht handelt, in der die Schauspieler_in zugleich agens und patiens ihrer eigenen Performance ist. Diese komplexe künstlerische Erfahrung katapultiert die Akteur_innen in eine offene Passage, in ein Dazwischen (in-between), in dem sie von der Illusion befreit werden, alleinige Täter_innen ihrer Performance zu sein. Man könnte formulieren, die Schauspieler_in erfährt in diesem Umschlag eine Verwandlung, eine „anthropologische Mutation“ (Agamben). Oder anders gewendet, die Künstler_in erleidet eine Art „Tod des Subjekts“.

Es ist bemerkenswert, dass dieser Verlust der Dominanz der Subjektivität ein entscheidender Aspekt des Spielens ist, der besonders intensiv auf das Publikum wirken kann. Warum? Vielleicht weil er eine äußerst intime Verbindung zwischen Zuschauer_innen und Spieler-innen aktualisiert, die das Zwischen von Leben und Tod stellvertretend widerspiegelt. Eine Passage, in der sich das Leben als es selbst zeigt? Leben—in seiner Ebene der Immanenz?

English:

When acting, the actor/actress experiences a complex regime of signs in his/her body, mind, mood and gender. These signs are both disturbing and promising. On the one hand, the act of creativity makes a wound obvious which has been incarnated within man. It tells him/her that he/she is not the sole actor of his/her actions. On the other hand, precisely this way acting on stage becomes an event. The act of this event reveals a way of be-coming in which one acts while at the same time being passive, in which the actor/actress is both agent and patient of his/her own performance. This complex artistic experience catapults actors/actresses into an open passage, into an in-between where they are liberated from the illusion of being the sole actors of their performances. One might even say that by this turn an actor/actress experiences a change, an “anthropological mutation” (Agamben). Or, to have it differently: the artist suffers a kind of “death of the subject”.

It is remarkable that this loss of the predominance of subjectivity is a crucial aspect of acting which may affect the audience in a particularly intensive way. Why? Perhaps because it updates an extremely intimate connection between audience and actors/actresses which vicariously reflects the in-between of life and death. A passage by which life presents itself as itself? Life – by its plane of immanence?

Author Biography

Susanne Valerie Granzer, University of Music and Performing Arts Vienna

Susanne Valerie Granzer ist seit 1989 Professorin im künstlerischen Fach Rollengestaltung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Max Reinhardt Seminar.

Ausbildung zur Schauspielerin am MRS Wien. Anschließend 18 Jahre lang Engagements in zentralen Rollen am Theater in der Josefstadt, Volkstheater Wien, Theater Basel, Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspielhaus Frankfurt am Main, Schillertheater Berlin und Burgtheater Wien. Parallel Studium der Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Wien. Promotion 1995.

1997 gemeinsam mit dem Philosophen Arno Böhler Gründung der wiener kulturwerkstätte GRENZ_film. Zahlreiche Lecture-Performances „Philosophy On Stage“. Mitbegründerin von BASE (Forschungszentrum für artistic research und arts-based philosophy, Indien) und Leiterin des dortigen Residenz-Programms.

FWF-Forschungsprojekte (Kooperationspartnerin): 2005–2007 „Materialität und Zeitlichkeit performativer Sprechakte“ (P17600). 2010–2013 „Korporale Performanz/Generating Bodies“ (TRP12-G21), 2014–2017 „Artist-Philosophers. Philosophy AS Arts-based-research” (AR 275-G21). Veröffentlichungen u.a.: Schauspieler außer sich. Exponiertheit und performative Kunst, Transcript Verlag, Bielefeld März 2011, zweite Auflage 2014. Actors and the Art of Performance. Under Exposure, Palgrave Macmillan 2016.

References

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Agamben, Giorgio. 1998. „Die absolute Immanenz.“ In Bartleby oder die Kontingenz, gefolgt von Die absolute Immanenz, übersetzt von Maria Zinfert und Andreas Hiepko, 77–127. Berlin: Merve.

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Spinoza, Baruch de. 2007. Ethik. Übersetzt von Wolfgang Bartuschat. Hamburg: Meiner.

Published

21-12-2017

How to Cite

“‘The Shadow of One’s Own Head’ Oder Das Spektakel Der Kreativität”. 2017. Performance Philosophy 3 (2): 436-46. https://doi.org/10.21476/PP.2017.32180.

Issue

Section

Künstler-Philosoph_innen—Philosophen-Künstler_innen. Immanenz schreiben

How to Cite

“‘The Shadow of One’s Own Head’ Oder Das Spektakel Der Kreativität”. 2017. Performance Philosophy 3 (2): 436-46. https://doi.org/10.21476/PP.2017.32180.